Schwanenteich

Schülerblog des Gymnasiums ,,Am Breiten Teich" Borna

röntgenblick

deine blicke durchbohren mich. du vergleichst meine gesichtszüge mit allen männern die du je gesehen hast, danach mit allen frauen. du realisierst , dass ich weder zu 100% das eine, noch das andere bin. dich überkommt die panik, mich auch, die angst, was falsches zu sagen. „junge dame“, entscheidest du dich zu sagen. in mir zieht sich alles zusammen, eine wut kocht auf, obwohl ich weiß, dass du nichts dafür kannst. ich kämpfe selber jeden tag mit meinen gesichtszügen. der größte feind wahrscheinlich mein spiegel, umkleiden, und die gesellschaft, die mich nicht sieht oder nicht sehen will. „wenn sie irgendwann mal deine knochen ausgraben, werden die aber wissen, dass du eine frau warst.“, schreibt einer von vielen in eine nach der anderen kommentarspalte. ich lebe im hier und jetzt. mir ist egal, dass sie das über meine knochen sagen werden, schließlich bin ich dann schon tot. von mir bleiben nicht nur knochen, dass hoffe ich zumindest.

I will die your daughter.

Susannah Joffe

neue/r lehrer/in, neues vorstellen, alte liste, alter name. mit einem stechen in der brust und einem stacheldraht um den hals muss ich vor der ganzen klasse wieder einmal der lehrkraft erklären, dass das nicht mein name ist… nicht mehr… nie war und nie mehr sein wird. ein lehrer verwechselt mich mit einem mädchen aus meiner klasse. ich bin nicht männlich genug, ist meine schlussfolgerung. aber was ist männlich, was ist ein mann? „du wirst nie ein richtiger mann sein.“ sag mir, was ist ein mann?

Bildquelle: Sam Luka Berger

„digga wasn scheis fick auf die“ kommentiert jemand unter meinen beitrag zu queer sein in der schule. der versuch ein ernstes gespräch aufzunehmen gescheitert, gescheitert wie mein erstes outing, damals zumindest.

„bist du dir sicher, dass das nicht nur ne phase ist?“, ja tatsächlich schon. seit ich 4 war, wär also ne sehr lange phase. damals dieser eine blick in den spiegel, das bestellte kleid anprobiert, haare bis über die schulter, die stimme die endlich laut genug schreit und mir klar machte, dass das so nicht mehr weitergeht. das kleid zurückschicken, ein friseurtermin. ein erneuter blick in den spiegel und endlich ich… naja fast, denn da ist noch etwas…

warten. ich warte mein ganzes leben, um mein leben leben zu können. warten auf verständnis, warten auf therapieplätze, warten auf arzttermine.

Waiting, waiting drives you crazy.

Radiohead

meine existenz immer noch ein diskussionsthema. ein schritt nach vorn, zwei zurück, so scheint es in der politik. selbstbestimmungsgesetz. cdu und afd wollen es wieder abschaffen… und wieder warten, auf termine auf dem amt, eine neue geburtsurkunde, neue dokumente… aber dann bin ich endlich ich?

auf dem papier ja, aber im spiegel immer noch das alte ich. wieder warten, warten auf arzttermine. „ab jetzt beginnt dein neues leben.“, sagt die schwester zu mir, nachdem sie mir die erste hormonblocker spritze gegeben hat. von da an jeden monat wieder eine. jeden monat ein neuer blauer fleck auf dem bein. ein blauer fleck, der mich daran erinnert, wer ich war, aber auch, wer ich bald sein werde.

warten. nur noch einen monat. eine woche. einen tag. ich zähle immer wieder die zeit, bis ich den nächsten schritt meines weges erreiche. diesen weg gehe ich nicht alleine, sondern vor allem mit meinem zehnjährigen ich an der hand, der zum ersten mal das wort trans gehört hat.

One day, I am gonna grow wings.

Radiohead

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Eine Antwort zu “röntgenblick”

  1. Ich finde es unglaublich wichtig, dass darüber gesprochen wird! Danke, dass du das mit uns geteilt hast.
    Du bist unglaublich stark <3

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