Hier lest ihr den 1. Platz unseres Schreibwettbewerbs zum Thema ,,Weihnachts(alb)traum“: Weiße Weihnachten von Mirjam Ballan.
Still fallen die kühlen Schneeflocken. Weiße Weihnachten, doch für ihn war das Weihnachtsfest nicht freudig. Nun läuft er im Schnee ohne Jacke, Mütze und Schal. Dafür hatte er keine Zeit bei der Flucht aus dem Haus. Nicht mal zu Hause konnte er es nennen, weil es das nie war und heute die finale Erkenntnis kam, dass es das nie sein wird.
Langsam und müde stapft er durch den Schnee, während das Blut an Händen und Lippe heruntertropfte. Endlich befreite er sich von seinem Vater. Schlug zurück. Schwester und Mutter weinten mal wieder. Taten nichts. Jedes Jahr dasselbe. Der Schwester verzieh er, doch der Mutter nie. Sie waren beide die Opfer ihrer Eltern. Seine schleppenden Schritte führen ihn immer weiter in den Wald hinein. ‚Hätte ich sie mitnehmen sollen?‘, ‚Wird er nun sie anstelle von mir verprügeln?‘ Die Schuldgefühle machten sich breit, wurden jedoch nicht lange wahrgenommen. Es gibt kein zurück mehr. Alles ist besser als die Vergangenheit. In diesem Punkt ist er sich totsicher. Das Leben war qualvoll und unfair zu ihm. Früher beteten er und seine Schwester, dass sie erlöst werden wollen. Raus aus dem Haus. Weg von der Gewalt und hin zum Frieden. Vor ein paar Jahren hörte er auf zu beten und nur die Schwester machte weiter. Er fand den Sinn nicht mehr. ‚Wenn es einen Gott gibt, dann hat er uns verlassen, bevor wir überhaupt um seine Hilfe bitten konnten.‘ Seine Füße tragen ihn nicht mehr weit und er fällt. Endlich fühlt er sich außen so wie innen. Taub. Die Gefühle hat er schon lange abgestellt, aber er musste immer noch fühlen. Nun ist er zum Glück auch davon befreit. Jetzt nur noch die Augen schließen, um ein letztes Mal den Himmel und die immergrünen Tannen des Waldes zu sehen und dann ist alles perfekt.
Immer noch fallen die kühlen Schneeflocken still und sanft auf die Nadeln der Bäume und den gefrorenen Waldboden. Die weißen Weihnachten sind auch für sie kein Freudenfest. Schnell und hektisch stürmt sie an seinen Lieblingsort, weil er Jacke, Mütze und Schal vergessen hat. Als sie ankommt, braucht ihr Bruder sie nicht mehr. Die Trauer kommt wie ein riesiger Schneesturm daher, doch dann entdeckt sie etwas, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr auf seinem Gesicht sah. Sie sieht ein Lächeln, so aufrichtig und rein und erkennt, dass er seinen Frieden gefunden hat.