Für das Spielzeitheft des Theaters Der Jungen Welt in Leipzig durften wir ein Interview mit der angehenden Intendantin Miriam Tscholl und der Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig, Skadi Jennicke führen. Viel Spaß bei Lesen!
WENN ICH AN LEIPZIG DENKE, DENKE ICH AN …
Miriam Tscholl: Eine junge und offene Stadt.
Skadi Jennicke: Kultur.
AM WICHTIGSTEN IST MIR …
Eine Offenheit der Gesellschaft, der Welt und anderen Perspektiven gegenüber, auch
gegenüber der Kunst und einem selbst.
Das sind total wichtige Dinge – auch für mich. Gepaart mit Vertrauen in sich selbst, in die Zukunft, in andere Menschen, die einem nah und wichtig sind.
THEATER IST FÜR MICH …
Ein Freiraum und ein Proberaum für das Leben und auch ein Ort der Freude, des Perspektivwechsels und der Begegnung.
Freude, Spaß, Lebendigkeit, Musik, Bewegung, Irritation und Konfrontation.
Und ein Ort der Zukunft, weil gedacht wird, wie etwas sein könnte.
MIT WELCHEN DREI WORTEN WÜRDEN SIE SICH SELBST BESCHREIBEN?
(spontan gemeinsam) Wir wollen was!
FRAU TSCHOLL, WAS WAREN IHRE ERSTEN ERFAHRUNGEN MIT THEATER UND WANN HABEN SIE DIESE GEMACHT?
(lacht) Ich war als 12-jährige in einer kleinen Kirchengemeinde und eine ältere Dame hat mit uns einen Schwank für einen Seniorennachmittag einstudiert. Ihre Regiemethode war: laut sprechen und wer lacht, muss fünf Mark zahlen.
FRAU JENNICKE, WARUM IST FÜR JUNGE MENSCHEN KULTUR WICHTIG?
Ich möchte, dass es Orte gibt, an denen ihr euch ausprobieren könnt, wo ihr ein Gefühl für euch selbst bekommt und herausfinden könnt, was ihr wollt im Leben und was euch wichtig ist, dass ihr Räume habt, in denen ihr geschützt seid.
WAS HAT SIE DAZU BEWEGT SICH IM BEREICH THEATER ZU ARBEITEN?
Die Freude daran. Auch zu merken das kann ich, das liegt mir und da bin ich bei mir. Ich finde, Theater hat etwas ganz Weites: Etwas Freies, etwas Soziales, auch etwas Kreatives und Organisatorisches, etwas Gesellschaftliches und Politisches. Es hat also ganz viele
Dimensionen für mich und damit habe ich mir ein abwechslungsreiches Leben versprochen.
GIBT ES EINE IHRER INSZENIERUNG AUF DIE SIE BESONDERS STOLZ SIND?
„Ich armer Thor!“ nach Goethes Faust. Mit Männern in der Mid-Life-Krise. Das war eine Arbeit, in der ich etwas Neues entdeckt habe: Einen Klassiker mit Biographien zu verbinden. In dieser Arbeit sind wir sehr weit gekommen sind, sowohl in der Auseinandersetzung mit Faust als auch in der Auseinandersetzung mit den Männern und ihren Krisen.
WARUM HABEN SIE SICH DAZU ENTSCHIEDEN IN DIE POLITIK ZU GEHEN?
Es ist der Wunsch, etwas zu verändern. Nicht nur zu meckern, sondern auch selbst mitzugestalten. Vielleicht kam das sogar aus dem Theater heraus. Da spürte ich auch den Impuls, etwas über die Welt herauszufinden.
WIESO HABEN SIE SICH AUF DIE STELLE DER INTENDANTIN ZU BEWERBEN?
Weil das TDJW ein tolles Haus ist und ich eine Herausforderung suche. Institutionen sind für eine funktionierende Demokratie etwas Wichtiges und ich übernehme gerne Verantwortung und gestalte gerne. Theater für junges Publikum zu machen, riecht für mich außerdem nach Zukunft und das gefällt mir sehr. Damit meine ich die Themen, Ästhetiken und Arbeitsweisen und natürlich das Publikum, das Theater ja gerade erst für sich entdeckt.
Leipzig ist auch einfach eine tolle Stadt. Und in dieser Kombination freue ich mich, das machen zu dürfen.
WARUM HAT MAN SICH FÜR FRAU TSCHOLL ALS NEUE INTENDANTIN ENTSCHIEDEN?
Es gab einen Auswahlprozess, in dem sich sehr viele beworben haben. Frau Tscholl hat eine Idee von Theater für junges Publikum. Sie will was – das merkt man. Es ist auch wichtig, in der Lage zu sein, etwas zu entscheiden. Auch hat sie eine Sensibilität für die Dinge, die schon da sind. Das hat uns neugierig gemacht und überzeugt.
WIE KÖNNEN WIR MEHR JUNGES PUBLIKUM FÜR THEATER GEWINNEN?
Einmal ist da die Frage, wie viele Menschen kommen und dann aber auch: wer kommt? Das Theater für junges Publikum birgt die Möglichkeit, über Kitas und Schulen eine Breite der Gesellschaft zu erreichen, so dass alle Kinder die Chance haben, ins Theater zu kommen, unabhängig davon, ob ihre Eltern ins Theater gehen oder nicht.
Im Kinder- und Jugendtheater entwickelt sich viel im Dialog mit dem Publikum. Das hat einen Lern- und Kennlerneffekt auf beiden Seiten. Als Erwachsene kriege ich ein Gefühl für die Lebenswelt junger Menschen. Ich finde, das bekommt man an keinem Ort so lebendig
mit.
ALS NEUE INTENDANTIN, WELCHE THEMEN SIND IHNEN WICHTIG UND WAS IST FÜR DIESE SPIELZEIT GEPLANT?
Wir können im Theater über alles reden – das ist das Tolle! Und die Stadt Leipzig, ihre Menschen, Themen und Orte finden sich im Spielplan wieder. Zum Beispiel starten wir mit einer Performance in einem Friseursalon, in der Kinder Erwachsenen die Haare schneiden. Wer neugierig ist und einen kreativen Haarschnitt braucht, sollte hingehen!
Die erste Schauspiel-Premiere ist ein Wimmelbild für die ganze Familie, in dem eine bunte Stadtgesellschaft auf die Bühne kommt und geht. Das Puppenspiel-Ensemble wird zeitgleich ein Stück zur Erinnerungskultur proben und die Städtepartnerschaft Leipzig-Kyjiw in den Blick nehmen.
An Weihnachten spielen wir DIE SCHNEEKÖNIGIN: Was macht der Splitter des Hasses im Auge von Kai und was hält eine Freundschaft aus?
Insgesamt ist der Spielplan für alle ab zwei Jahren und wir hoffen, dass alle etwas finden, wo sie andocken können. Ob es die GOLDENE GANS ist, der Social-Media-Trip von Leipziger Jugendlichen oder wenn Kinder
und die Generation 68+ sich gegenseitig Fragen stellen. Wir haben tolle Regieteams eingeladen, Autor*innen schreiben ihre Stücke Leipzig direkt auf den Leib und wenn es Richtung Sommer geht, zeigen wir eine Bearbeitung des preisgekrönten Jugendromans FREIBAD. Außerdem gibt es viele Möglichkeiten, selbst auf der Bühne zu stehen oder Kooperationsschule zu werden. Wir arbeiten stetig daran, als Haus diverser, inklusiver und nachhaltiger zu werden. Und wir machen Station in verschiedenen Stadtteilen und im Umland von Leipzig. Also auf jeden Fall mehr, als in dieses kurze Interview passt!
WAS NEHMEN SIE AUS DRESDEN MIT?
Ich glaube, vor allem die Frage, wie wir Menschen erreichen. Die habe ich mir in Dresden immer gestellt und die ist auch hier wichtig.
HABEN SIE IN DEN LETZTEN JAHREN EINE VERÄNDERUNG IN IHRER ARBEIT GEMERKT? VIELLEICHT IN BEZUG ZU CORONA ODER AUCH POLITISCH?
Ja. Es ist sehr viel schwerer geworden einen Konsens herzustellen und für
kulturpolitische Ziele eine breite Mehrheit im Stadtrat zu bekommen. Das liegt nicht nur an der politischen Verschiebung.
Nach Corona ist es generell schwieriger geworden, über Dinge
zu sprechen und das Gefühl zu haben, man versteht den anderen. Es dauert viel länger, eine Ebene herzustellen, auf der man sich vertrauen kann und gut miteinander klarkommt. Natürlich mal mehr, mal weniger. Aber es kommt sehr häufig vor, dass Menschen schneller gereizt reagieren, das beobachtet ihr vielleicht auch.
WAS MACHT FÜR SIE EINE GUTE INSZENIERUNG AUS?
Sie muss mich berühren. Sie muss eine neue Frage aufmachen – lieber eine Frage als eine Antwort. Ich mags gerne, wenn es eine Tiefe hat und trotzdem Spaß macht.
WAS MACHEN SIE GERNE IN IHRER FREIZEIT?
Wenn ich sie habe, dann bin ich gerne im Gemüsegarten.
Ich lese gerne, wenn ich genug Abstand zum Alltag habe.
Liebe Frau Tscholl, liebe Frau Jennicke
vielen Dank für das gemeinsame Interview. Es hat viel Spaß gemacht. Toi Toi Toi für die kommende Spielzeit!
Hier geht es zur Seite des Theaters Der Jungen Welt:
Willkommen – Theater der Jungen Welt
Dieses Interview wurde von Anni Stahr und Luke Ströher geführt.
Bildquelle: TDJW über Instagram